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Landgericht Berlin schließt Strafbarkeit nach § 284 StGB wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des staatlichen Sportwettenmonopols aus

Das Landgericht Berlin hat mit Beschluss vom 19.01.2012 eine sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin gegen die Nichtzulassung der Anklage zurückgewiesen. Nachdem das Amtsgericht Tiergarten eine Anklage wegen Vermittlung von Sportwetten durch eine deutsche Staatsbürgerin an eine österreichische Wettanbieterin nicht zugelassen hatte, reichte die Staatsanwaltschaft Berlin sofortige Beschwerde ein und argumentierte, dass die Sportwettenvermittlerin keine erforderliche Erlaubnis besessen habe.

Das Landgericht Berlin hat in dem elf Seiten umfassenden Beschluss ausführlich zur Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des staatlichen Sportwettenmonopols, der Regelung des Erlaubnisvorbehalts sowie zum Strafzweck des § 284 Abs. 1 StGB Stellung genommen.

Im Ergebnis ist eine Strafbarkeit nach § 284 abs.1, Abs. 3 Nr. 1m Abs. 4 StGB ausgeschlossen. Bei der Strafnorm des § 284 StGB müsse der verwaltungsakzessorische Charakter beachtet werden. Das Fehlen der Erlaubnis dürfe nicht strafrechtlich vorgeworfen werden, wenn die fehlende Erlaubnis auf einem verfassungs- und unionsrechtswidrigen gesetzlichen Zustand beruht. Das Gericht bezieht sich auf die Rechtsprechung des EuGH sowie die des BVerwG, welche die Einschränkung der unionsrechtlich garantierten Dienstleistungsfreiheit durch das staatliche Sportwettenmonopol wegen der rechtlichen und tatsächlichen Ausgestaltung der deutschen Glücksspielpolitik als inkohärent und somit unionsrechtswidrig bewertet haben.
Das Landgericht stellt ausdrücklich selbst eine inkohärente Ausgestaltung des Glücksspielmarktes durch die tatsächliche Anwendungspraxis fest. Somit ließen sich die Ziele des § 1 GlüStV nicht durch behördliches und strafrechtliches Einschreiten gegenüber Sportwettenvermittler erreichen (S. 9). "Der Erlaubnisvorbehalt nach § 4 Abs. 1 GlüStV weist auch keinen sog. Regelungsgehalt auf, der sich dergestalt von der Frage der Wirksamkeit des Sportwettenmonopols trennen ließe, dass die fehlende Erlaubnisfähigkeit gegebenenfalls allein auf die besonderen Zulassungskriterien und die Zuverlässigkeitsprüfung in § 7 GlüStV gestützt werden könnte" (S. 9). Gegenständlich war es somit wegen des rechtswidrigen staatlichen Sportwettenmonopols überhaupt nicht möglich, eine entsprechende Erlaubnis zu erhalten. "Dagegen sei der Tatbestand des § 284 Abs. 1 StGB nicht bloßer verwaltungsakzessorischer Natur. Würde auf das schlichte Fehlen einer behördlichen Erlaubnis – gleich aus welchem Grund – abgestellt werden, so würde bloßer Verwaltungsgehorsam bestraft werden. Darin besteht jedoch nicht der Strafzweck des § 284 StGB. Mit dieser Vorschrift – die lediglich die landesrechtlichen Glücksspielregelungen flankiert und nicht selbst dem Schutz des staatlichen Wettmonopols dient – soll vielmehr ausweislich der Gesetzesbegründung" insbesondere der ordnungsgemäße Spielablauf gewährleistet werden. "Das verwaltungsakzessorische Verständnis des Tatbestandes würde im Übrigen – konsequent zu Ende gedacht – dazu führen, dass es für die Strafbarkeit nach § 284 Abs. 1 StGB gleichgültig wäre, ob und inwieweit die landesrechtlichen Regelungen für Sportwetten überhaupt eine Erlaubnispflicht enthalten und ob Privatpersonen überhaupt eine Erlaubnis erteilt werden kann. Das ist jedoch nicht der Fall, wie eine (einstimmige) Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über Verfassungsbeschwerden gegen die Anordnung der Durchsuchung von Geschäftsräumen wegen des Verdachts der unerlaubten Veranstaltung von Glücksspielen zeigt (Beschluss vom 15. April 2009, 2 BvR 1496/05, Rn. 33 f. – juris, BVerfGK 15, 330) - (vgl. S. 5). Darin hatte das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich einen staatlichen Strafanspruch verneint, wenn der strafbewehrte Ausschluss privater Wettunternehmer von der gewerblichen Veranstaltung von Sportwetten wegen des rechtswidrigen Staatsmonopols verfassungswidrig ist.

Auf einen bisher von vielen Strafgerichten angenommenen sog. unvermeidbaren Verbotsirrtum kommt es demnach nicht an. Ausführungen hierzu sind in dem Beschluss des Landgerichts Berlin nicht vorhanden. Daher ist diese Entscheidung des Landgerichts Berlin beachtlich, da eine Strafbarkeit bereits auf Tatbestandsebene (Merkmal "Erlaubnis") mit der verwaltungsgerichtlichen und unionsrechtlichen Argumentation verneint wird.

Die Entscheidung des Landgerichts Berlin ist zudem nach dem 01.01.2012 gültig, da in den Bundesländern für die Sportwettenvermittlung entweder weiterhin überhaupt kein Erlaubnisverfahren besteht oder aber eine fehlende Erlaubnis nach den sog. Erlaubnisverfahren (in den Ländern Bayern, Niedersachen und Rheinland-Pfalz) strafrechtlich nicht vorgehalten werden dürfe.
Zudem ist nicht gewährleistet, dass diese Erlaubnisverfahren unionsrechtskonform gestaltet sind, da diese weder bei Inkrafttreten der landesrechtlichen Ausführungsgesetze vorgesehen waren, noch durch die EU-Kommission notifiziert sind. Dabei verhält sich der Staat widersprüchlich, als er landesrechtliche Erlaubnisverfahren gelten lässt, jedoch hinsichtlich des Änderungsgesetzes zum Glücksspielstaatsvertrag, die Rechtmäßigkeit der Bedingungen des Erlaubnismodells, anhand des Notifizierungsverfahrens bestätigen lässt.
Ferner ist mit den jüngsten Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs klargestellt, dass der Erlaubnisvorbehalt in einem inhaltlichen Zusammenhang mit dem staatlichen Sportwettenmonopol zu sehen ist und somit die Vermittlung von Sportwetten solange nicht untersagt werden dürfe, bis ein Erlaubnisantrag rechtskräftig abgelehnt worden ist. Bis dahin gelte der Vorrang des Unionsrechts uneingeschränkt. Daher könne ein nach § 284 StGB strafbares Verhalten niemals vorliegen, da die Vermittlung von Sportwetten mangels unionsrechtskonformen Rechtsgrundlagen aufgrund der unionsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit erfolgt.